Da traute Ingrid Linden ihren Augen nicht. Bei einem Spaziergang entlang der Saffiger Straße bis hinauf auf den Saffiger Berg musste die Kettiger SPD-Vorsitzende eine Freifläche zur Kenntnis nehmen, die zuvor mit prächtigen Bäumen bedeckt war. Mit Entsetzen und ungläubigem Staunen betrachtete sie eine Fläche von nahezu 500 Metern und einer kontinuierlichen Breite von etwa 50 Metern , die total abgeholzt abgeholzt war. Sträucher, Hecken, Gebüsche und vor allem die vielen prächtigen Laubbäume waren der Motorsäge zum Opfer gefallen. Alles war gerodet, mehr oder minder dem Erdboden gleichgemacht.
Ingrid Linden konnte schnell in Erfahrung bringen, dass dieser Kahlschlag vom RWE-Hauptwerk in Essen veranlasst worden war und hierfür angeblich auch eine Genehmigung der Kreisverwaltung vorgelegen hatte. Auch Elmar Hillesheim, der Vorsitzende der Naturfreunde des Amtes Bergpflege, sah sich mit seinen Freunden die abgesägten Büsche, Sträucher und die ehemals wunderbaren Bäume an und war schockiert: „Hier wurde ein Kahlschlag ohne Sinn und Verstand betrieben. Wer dieses Stück Natur genauer kennt, der ist mit Recht wütend über so viel Unverstand im Umgang mit der Natursein“, erklärte Elmar Hillesheim.
Genauestens informiert Kettigs Bürgermeister Norbert Hansen hatte sich bereits genauer über den Sachstand informiert. Die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke, Abteilungen Leitungen, hatte bei der Kreisverwaltung Mayen-Koblenz eine Ausnahmegenehmigung von dem Verbot beantragt, in der Zeit vom 1.März bis 30. September eines Jahres im Außenbereich der Hochspannungsfreileitung Weißenthurm – Metternich Hecken oder Gebüsche zu roden, abzuschneiden, zurückzuschneiden oder abzubrennen. Diese Genehmigung erteilte die Kreisverwaltung am 7. September des vergangenen Jahres. Die RWE Energie hatte in ihrem Antrag dargelegt, dass sie im Rahmen der Optimierung des Hoch- und Höchstspannungsnetzes beabsichtige, auf der 380-kV-Hochspannungsfreileitung Weißenthurm-Metternich einen220-kV- und einen 380-kV-Stromkreis aufzulegen.
Das Werk erläuterte weiter, dass es bisher keine Probleme gab, die Leitung über Wald- und Feldgehölze zu führen, da der Betrieb dieser Leitung möglich war, ohne die Gehölze zu entfernen. In ihrem Antrag vom 31. August 2000 wird darauf verwiesen, dass man in der ersten Septemberwoche (!) auf dieser Leitung die unteren Stromkreise auflegen zu wollen. (Tatsächlich jedoch wurden die Arbeiten viel später ausgeführt). „Der Bewuchs von Bäumen und Sträuchern lässt jedoch an einigen Stellen die Auflage und den Betrieb der noch fehlenden Stromkreise nicht zu“, heißt es m RWE-Antrag, wobei zusätzlich darauf hingewiesen wird, dass laut Planstellungsbeschluss der Bezirksregierung Koblenz aus dem Jahre 1977, Bäume und Strächer die Leitungen nicht gefährden dürfen. „Um die Seilarbeiten für den 220-kV-Stromkreis vor dem 27.11. 2000 abschließen zu können, müssen die Ausholzungsarbeiten bereits in der ersten September-Woche beginnen“, heißt es im Antrag der RWE-Energie. In deren Schreiben wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausholzungsarbeiten innerhalb der Vegetationsperiode auf die Arbeiten in unmittelbarer Nähe des Mastes 6 und auf Bäume, die die Höhe des unteren Leiterseiles bereits jetzt überschreiben, beschränkt sind.
Allerdings wird von aufmerksamen Kettiger Bürgern nach Betrachten der tatsächlich vollzogenen Arbeiten die Frage gestellt, ob hier wirklich gemäß den selbst gestellten Auflagen gehandelt wurde.
Gerade auch an diesem Punkt setzt die Kritik von Ingrid Linden und Bürgermeister Norbert Hansen ein. Es sind Bäume abgeholzt worden, die am Rand einer rund 50-Meter breiten Schneise standen und keinesfalls die Leitungen gefährdeten. Dies betrifft noch viel mehr auf Sträucher, Hecken und Büsche zu, die wesentlich weiter als in der angegebenen 6-Meter-Entfernung von den Starkstromleitungen dem Masten entfernt waren. „Hier ist man ziemlich unüberlegt und ohne einen vernünftigen Plan mit der alles zerstörenden Motorsäge zu Werke gegangen. Ich denke, man hätte die notwendigen Arbeiten auch mit ein wenig mehr Sinn für die Notwendigkeiten leisten können“, erklärte Norbert Hansen. Von den Rhein-Westfälischen Energiebetrieben in Essen wird dagegen ausdrücklich versichert, dass alles rechtens zugegangen sei und der Bewuchs von Bäumen und Sträuchern an einigen Stellen (!) die Auflage und den Betrieb des noch fehlenden Stromkreises nicht zulässt.
Drastische Maßnahmen ergriffen Der Bürgermeister der Gemeinde Kettig ist jedoch keinesfalls davon überzeugt, dass die Handlungsweise in Ordnung geht. Da hier äußerst drastische Maßnahmen (angeblich um die Stromleitungen freizuhalten) getroffen wurden, glaubt Norbert Hansen, dass solche, gravierend in den Naturhaushalt eingreifende Arbeiten, ebenfalls der Genehmigung bedürfen. Dies umso mehr, weil offensichtlich die Kreisverwaltung als Untere Landschaftspflegebehörde selbst von der vorgesehenen Rodung eines relativ großen Landschaftsabschnittes nichts wusste.
Zwar zweifelt der Bürgermeister nicht an der Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses der Bezirksregierung Koblenz aus dem Jahre 1977, wonach die RWE das Recht hat, Arbeiten zur Freihaltung ihrer Hochspannungsleitungen durchzuführen, doch ist er der Meinung, dass die Auflagen der Kreisverwaltung, nämlich die Arbeiten nur im notwendigen Umfange und so schonend wie möglich durchzuführen, nicht eingehalten wurden. „Es gilt das Prinzip des „geringstmöglichen Eingriffs in die Natur“. So dürfen Pflanzen und Bäume aller Art erst abgeschnitten oder gerodet werden dürfen, wenn ein Zurückschneiden nicht ausreicht“, betonte Hansen, der letztlich hinterfragt, ob denn tatsächlich auch die Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes eingehalten und somit bundesgesetzliche Regelungen in vollem Umfange beachtet wurden. „Es kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass mit der Planfeststellung von 1977 ein generelles Recht für ausgiebige Rodungen abgeleitet werden kann, hierüber müssen meines Erachtens immer noch die kompetenten staatlichen Behörden von Fall zu Fall so informiert werden, dass entsprechende Anträge auch ordnungsgemäß geprüft werden können“, betonte der Kommunalpolitiker.
Auch für die Kommunalpolitikerin Ingrid Linden ist der Fall noch längst nicht erledigt. Sie entdeckte am Rand des Kahlschlaggebietes eine mächtige gefällte Eiche, die ihres Erachtens als Naturdenkmal zu gelten hat. Der traurige Anblick dieser, im wahrsten Sinne des Wortes nun darniederliegenden Natur, hinterlässt zweifellos bei den Betrachtern ein Stück Verzweiflung über die angebliche Notwendigkeit, kostbare Landschaften für die Fortentwicklung der Technik zu opfern. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch künftig Menschen finden, die genau diese These immer wieder in Frage stellen.